Kunstverein Rosenheim 28/5-17/07-2011
PRELIMINARY EXHIBITION OBAMAINBERLIN
MISSVERSTÄNDNIS ALS INSTALLATION
Curated by Iris Trübswetter
OBAMAINBERLIN ist Titel der Ausstellung und zugleich Name einer Kooperation
zwischen Vadim Zakharov und Niklas Nitschke; Autor aller Arbeiten der Ausstellung ist OBAMAINBERLIN.
Da das Ziel der Kooperation nicht in der gemeinsamen Entwicklung von Arbeiten besteht,
sondern in der Gegenüberstellung von Arbeiten, deren gegenseitiger Aneignung und dem Produkt ihrer Entgegensetzung,
sind die Arbeiten, bzw. Teile von Arbeiten mit ihren Autoren angegeben.


TALKING IN PORRIDGE
(N. Nitschke, V. Zakharov)
Aktion (Feuer, Faß, Porridge, Rede)
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Kunstwerk, das wir mit unserem Besuch in einer Ausstellung wie dieser aufsuchen -auf das wir uns freuen in der Erwartung einer Begegnung- gibt es nicht; genauso wenig wie es mich jetzt und hier an dieser Stelle gibt.
Ich stehe aber vor Ihnen, und es gibt so unendlich viel Kunst, und damit klingt dumm, was ich sage. Davon zu sprechen, dass sie hier ebenfalls nicht da sind, dass ihre Abwesenheit eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist, erschiene noch alberner.
An diesem Punkt würde ich Sie bitten, das, was ich gerade tue, als Einladung wahrzunehmen. Setzen Sie sich der Behauptung, Sie seien nicht da, aus. Geben Sie Ihren interessierten, informierten, kritischen, einfühlsamen oder auch neugierigen Standpunkt auf. Lassen Sie den Mangel zu, und stellen Sie fest, dass Sie so, ab jetzt, von Beobachtung zu Beobachtung, von Bezugnahme zu Bezugnahme immer mehr einer Höhlung gleichen, einem Gefäß; stellen Sie fest, dass die Eindrücke, das eigene Wissen und die Einsichten, die aus der Verknüpfung von Wahrnehmung und Kenntnis entstehen, das Innere nicht mehr erreichen. Das ist ein Gefäß, aus dem Sie nur formlos entsteigen
könnten; aber es kommt mir vor, als wäre diese Un-Gestalt, in der wir uns dann vorstellen müssen, etwas paradiesisches.
(...) ich spreche hier zu Ihnen als Teil eines Werkes von Vadim Zakharov. Dieses Faß, der Porridge und mein Stehen darin, die Situation der Anrede und der Rauch des Feuers sind ein Bild neben den anderen Teilen der Ausstellung. Wenn ich Ihnen nun sage, ich bin Teil eines Werkes von Vadim Zakharov, klingt das unter Umständen nach einer unsauberen Aneignung. Man kann einwenden, ich sei eben Akteur einer von Zakharov und mir verantworteten Performance. Aber ich nehme mich eben jetzt vor allem als Teil eines fremden Bildes wahr und erforsche mit meinen Worten die Konsequenzen dieser Selbstenthebung. Mein augenblickliches Sprechen ist dabei meine Chance, lebendig zu werden.
Spüren Sie den Bruch, der sich bei der Behauptung einstellt, dass ich ein Teil eines Bildes, eines fremden Werkes bin? Diese Behauptung scheint mich mir ein Stück weit zu entreißen und Ihnen sich auch, da Sie –genau jetzt - in meiner Rede kein Gegenüber mehr haben sollen. Folgt man der Behauptung, rede ich nicht mehr in erster Linie als Person, die Sie anspricht und sich so Ihnen gegenüber verantwortet; aber ich rede auch nicht als Figur. Ich bin eher der Verantwortung Ihnen gegenüber ein Stück enthoben; gleichzeitig als Teil eines fremden Bildes einem symbolischen Zugriff ausgesetzt, der meine Person unterordnet. Kann ich hier behaupten, dass ich nicht mehr für mich spreche? Ist es dann so, dass Sie nicht hören, was Sie hören? Wenn es stimmt, wo stehe ich dann? Was hören Sie?
Wären Sie bereit, mir zuzugestehen, dass es nur eine Form der Offenheit ist, die im Fall des Bildes, dessen Teil ich bin, an die Stelle des erwarteten Werkes rückt? Dass es in der Preisgabe, die ich erfahre, eine gewissermaßen unmenschliche Offenheit ist, kein Angebot an Sie oder mich - sondern eine Form der Abstraktion?
Gestehen Sie mir folgendes zu, auch wenn das eine seltsame Bitte ist: diese Offenheit ist als dialektische Figur gleichzeitiger Aneignung und Unterordnung eben die Mitte des Bildes: auf etwas zugreifen und sich ihm gleichzeitig ausliefern, in einer Aufhebung beider Impulse. Es ist eine Mitte, in die Sie eintreten, wenn Sie auf ihren Anspruch an das Bild, ans Werk verzichten, während und nur wenn Sie nach ihm mit Heftigkeit verlangen.
Ich muss an dieser Stelle betonen, dass ich einen großen Widerwillen verspüre, Ihnen diesen Gedanken sprachlich vorzuführen. Nehmen Sie daher vor allem wahr, DASS ich zu Ihnen sprechen möchte. Meine Rede ist nicht so sehr ein Angebot, eher eine Not. Ich brauche Sie, ich bin auf Sie angewiesen, und zwar auf Sie in ihrer leibhaften Präsenz, jetzt. Ich brauche Sie nicht als Publikum, um mich anzuerkennen, das ist mir - soweit es möglich ist – gleichgültig. Aber Sie, Sie sind mir nicht gleichgültig. Ich brauche Sie, hier in dieser Öffentlichkeit der Ausstellung und in diesem Dialog mit Vadim Zakharov, als Gegenüber, um mich von Ihnen zu trennen.
Auf die Weise, die mir vorschwebt, ist es eine ungeheure Wohltat, Distanz zu erleben. Lassen Sie mich.


OLGA AUSSPRECHEN
(N. Nitschke)
Aktion, Videodokumentation
Dieses Video entsteht in Reaktion auf die Fotoserie „Olga, Viktor and..“ von Vadim Zakharov. Die Fotoserie stellt einen Bericht von Viktor Skersis in den Mittelpunkt, vermittelt dessen Gegenstand aber nur in der Reaktion einer weiteren Besucherin, Olga. Skersis’ Rede verkörpert sich in ihrem Leib, indem Zakharov durch die Reihung der Fotos einerseits in Frage stellt, was eigentlich betrachtet wird, gleichzeitig in zum Teil intimen Aufnahmen von Olgas Haltung sehr genau eine Reaktion auf die Worte von Skersis zeigt. Ohne von dem Inhalt der Erzählung zu wissen ist das Video ein Versuch Nitschkes, den Pathos der Rede zu wiederholen, den die Fotoserie im Durchblättern entfaltet. Wo Zakharov hinter der Kamera ein Beziehungsgeflecht zwischen Skersis, Olgas Leib und dem abwesenden Text knüpft, rückt sich Nitschke selbst ins Bild. Es ist nun der innere Eindruck einer Aufnahme aus der Serie, der mit Teig an einen Baumstamm modelliert wird, während die Kamera das wie Olgas Arme nackte, für ihn nicht sichtbare Hinten Nitschkes aufnimmt. Alternierend sieht man Nitschke nebem dem so entstandenen Bild-Objekt stehen und erzählen, es ist eine genaue Beschreibung des Fotos, das im Mittelpunkt der Aufnahme steht. Was er sagt, ist nicht zu hören, die Beschreibung geht ins Leere, stattdessen hört der Betrachter immer wieder die gleiche Interpretation der Vertonung eines Gedichts von Anna Achmatowa.


BLACK PINOCCHIO
(V. Zakharov, N. Nitschke)
Baumstamm mit Ast, Perserteppich, Zeichnung Hinterkopf Obama, gerahmt: Nitschke
Diese Installation geht auf ein Traumbild Nitschkes zurück, das er träumte, nachdem Zakharov ihn im Rahmen der sich entwickelnden Zusammenarbeit ausdrücklich damit beauftragte, sich Arbeiten aus seinem Werk anzueignen: der Traum handelte von einer Figur, die sich in einer Moschee aufhielt bzw. dort betete - mit der Figur des Pinocchio hatte diese Figur gemeinsam, dass sie eine lange Nase hatte; die Nase veränderte sich nicht von selbst, sondern war wechselbar; Nasen in mehreren verschiedenen Längen standen im Raum der Moschee zur Verfügung, sie waren auch auffällig farbig bemalt. Zakharov verknüpfte dieses Bild mit einer Zeichnung Nitschkes, die den Hinterkopf Obamas beim Berliner Bad in der Menge anlässlich seiner Rede noch vor der Präsidentschaft zeigt. Pinocchio liegt hier in einen Perserteppich eingewickelt auf dem Boden, von seinem Gesicht ist nur eine schwarze lange Nase erkennbar.


TEACHER OF BEES
(V. Zakharov)
Bischöfliches Lesepult 19tes Jhdt, Weidenzweige, Toncollage
Aus einem Betstuhl tönt das Summen eines Bienenstocks, wie er im Innern klingt, sein Summen erfüllt den ganzen Raum und macht dieses Objekt zum Kern der Ausstellung. Immer wieder durchbricht eine Stimme das manchmal bedrohlich, manchmal heimelig wirkende Summen. Es ist die Stimme Klaus Kinskis, der sich immer wieder bis zur Unverständlichkeit wütend Luft macht und ein Publikum, eine Gesellschaft geißelt, von der er sich radikal distanziert. Den Abstand, den er so aufmacht - der auch als Spielraum erscheint -, schließt sich wieder, wenn ein weiterer Tonausschnitt aus dem Film „Fitzcarraldo“ einen Moment der kathartischen Verzweiflung zitiert; Kinski läutet bitter die Glocke der Kirche einer Stadt, die er nicht durch das eigene Projekt, die Vorstellung einer Oper ersetzen kann. Weidenzweige auf dem Pult zitieren das deutsche Klassenzimmer des 19ten Jhdts.




TO OLGA: MARTYRS OF CONSTRUCTIVISM
(N. Nitschke, V. Zakharov)
Lambda-Prints: V. Zakharov;
Objekte (Instrumente, Salzteig, Gips, Ölfarbe, Sockel/Transportkisten): Nitschke
In dieser Zusammenführung werden mehrere komplexe Werke zu einem installativen Zusammenhang überschnitten. Die auf dem Boden liegenden Objekte, die jeweils ein Musikinstrument mit einem gemalten Bildausschnitt verknüpfen, entstanden neben dem Video OLGA AUSSPRECHEN in Reaktion auf die Fotoserie „Olga, Viktor and...“ von Zakharov. Indem es aufgeschnitten wird, verliert das Instrument seine Fähigkeit zu klingen; an die Stelle dieses Klangs rückt auf der anderen Seite eine kleine Malerei auf der amorphen Form aus Teig und Gips, die die verlorene Einheit des Objekts auf unbeholfene Weise wieder herstellt. Die Malereien zeigen jeweils einen Ausschnitt von Olgas Gesicht und Körper, der Frau, die in der Serie Zakharovs in den Vordergrund gerückt wird. Die in der Fotoserie abwesende Rede wird in den Objekten im abwesenden Klang wiederholt. Den verlorenen Resonanzkörper bekommen die Instrumente in Form einer dunkelfarbigen Kiste zurück, die als Sockel einerseits der Präsentation, als Kiste andererseits ihrer Aufbewahrung dient.
Zwei Fotodrucke an der Wand stellen für diese Gruppe von Objekten einen neuen Bezugsraum her; ihr Motiv ist eine andere Arbeit Zakharovs, die Installation „St.Sebastian furniture set and porridge“. Die Drucke zeigen Möbelstücke, die in direkter Anlehnung an perspektivisch verzerrte Darstellungen russischer Ikonenmalerei entstanden sind. Sie werden durchdrungen von roten Keilen, in Anlehnung an die russische Avantgarde, die neben der Ikonenmalerei zum zweiten Markenzeichen russischer Kunst geworden ist.


3 GRACES OUT OF ROSENHEIM (GO TO EISENHÜTTENSTADT)
(V. Zakharov, N. Nitschke)
Aktion mit drei weiblichen Modellen, DVD-Spieler, Videobrillen, Aufnahmegeräte, Fotografie
In den drei auffälligen, Richtung Osten weisenden Fensternischen der Räume des Kunstvereins stehen zur Eröffnung der Ausstellung OBAMAINBERLIN drei nackte Frauen, die nach draußen schauen. Sie sehen nicht das, was die Besucher sehen, haben Videobrillen auf. Sie sehen jeweils einen Film, den sie beschreiben. So konkret der Körper ist, dem der Betrachter naherücken muss, um die Frauen zu verstehen, so offen ist das, was er aus der Beschreibung heraus sich vorstellt: ein Film zeigt den Weg von einem Dorf auf der deutschen Seite der Neiße auf die polnische Seite, ein anderer schildert einen mehrstündigen Aufenthalt unter der Skulptur "Der Tod", die an der Hauptkreuzung in der Mitte Eisenhüttenstadts aufgestellt ist. Ein dritter Film zeigt Nitschke, wie er, das Gesicht mit Schokoladencreme braun gefärbt, im ebenfalls in der Ausstellung päsentierten Betstuhl knieend die Berliner Rede von Barack Obama noch einmal laut spricht.