top of page

Nikolaj Vasilevič Gogol           Die Nase

 

Emanuel Levinas                     Einige Betrachtungen zur Philosophie des Hitlerismus

 

 

Am 25. März ereignete sich in Petersburg eine ganz ungewöhnliche, seltsame Begebenheit. Der auf dem Himmelfahrtsprospekt wohnende Barbier Iwan Jakowlewitsch () erwachte ziemlich früh und spürte den Duft frischgebackenen Brotes. Er richtete sich in seinem Bett () auf und sah, daß seine Frau, eine ziemlich ehrenwerte Dame, die sehr gern Kaffee trank, aus dem Ofen soeben ausgebackene Brote zog.

»Heute () will ich keinen Kaffee«, sagte Iwan Jakowlewitsch; »statt dessen möchte ich warmes Brot mit Zwiebeln essen.« () Mag der Dummkopf meinetwegen nur Brot essen, um so besser für mich, dachte sein Ehegespons; dann bleibt für mich noch eine Portion Kaffee übrig, und warf ein Brot auf den Tisch.

Iwan Jakowlewitsch zog anstandshalber einen Frack über das Hemd, setzte sich an den Tisch, schüttete sich Salz aus, machte sich zwei Zwiebelköpfe zurecht, nahm das Messer zur Hand, zog ein bedeutsames Gesicht und begann das Brot zu schneiden. Nachdem er das Brot in zwei Hälften geschnitten, sah er mitten hinein – und zu seinem großen Erstaunen erblickte er etwas Weißliches. (Er) stocherte vorsichtig mit dem Messer daran herum und befühlte es mit dem Finger. »Ganz fest!« murmelte er in den Bart, »was mag denn das sein?«

Er steckte die Finger hinein und zog – eine Nase heraus! ... Da ließ Iwan Jakowlewitsch die Hände sinken, begann sich die Augen zu reiben und zu tasten: Eine Nase, wirklich eine Nase! und noch obendrein schien es die Nase eines Bekannten zu sein. Entsetzen malte sich auf Iwans Gesicht, aber dieses Entsetzen war noch nichts gegen den Abscheu, der sich seiner Gattin bemächtigte. () Iwan Jakowlewitsch war mehr tot als lebendig; er erkannte, daß diese Nase keinem andern gehören konnte als dem (Major) Kowalow, den er jeden Mittwoch und Sonntag rasierte.

»Wart, Praskowja Ossipowna! ich wickele sie in ein Läppchen und lege sie in die Ecke; da mag sie ein Weilchen liegen bleiben, dann werde ich sie fortschaffen.«

»() ... Ach () du einfältiger Klotz! Hinaus damit! Hinaus! Bringe sie, wohin du willst! Daß ich sie hier nicht mehr vor Augen habe!«

Iwan Jakowlewitsch stand da wie erschlagen. Er dachte nach und dachte nach – und wußte nicht, was er denken sollte. () Schließlich nahm er seine Hosen und Schuhe, () wickelte die Nase in einen Lappen und ging hinaus auf die Straße.

 

Hitlers Philosophie zielt auf Einfaches und Grundlegendes. Doch die elementare Gewalt, mit der die in ihr gärenden primitiven Kräfte zum Ausbruch kommen, bringt mit einem Schlag auch ihre ganze erbärmliche Phrasenhaftigkeit an den Tag. Sie bringen das Heimweh zu Bewusstsein, das tief in der deutschen Seele schlummert. Der Hitlerismus ist mehr als eine Seuche oder eine Verwirrtheit des Geistes; er ist das Erwachen elementarer Gefühle.

Und genau deshalb wird er als philosophisches Phänomen interessant – und schrecklich gefährlich. Denn in diesen elementaren Gefühlen verbirgt sich tatsächlich eine Philosophie. In ihnen nämlich drückt sich die Grundhaltung der Seele dem Ganzen der Wirklichkeit wie dem eigenen Schicksal gegenüber aus. Sie legen die Richtung der abenteuerlichen Reise, die die Seele in der Welt zu bestehen hat, fest oder lassen sie zumindest erahnen.

Die Philosophie des Hitlerismus geht darum auch über den Kreis der Hitleranhänger hinaus. Sie stellt die Prinzipien der Zivilisation als solche infrage. Der dabei auftretende Konflikt spielt sich nicht nur zwischen Liberalismus und Hitlerismus ab, sondern er bedroht das Christentum selbst.

 

Er wollte sie irgendwo heimlich unterschieben: entweder unter den Eckstein am Tor oder sie ganz unbemerkt irgendwo verlieren und dann in einer Querstraße verschwinden. Aber zum Unglück begegnete er immer wieder irgendeinem Bekannten, der gleich mit der Frage begann: »Wohin denn, Iwan Jakowlewitsch?« oder »Wen hast du schon in so früher Morgenstunde rasiert?« usw., so daß Iwan Jakowlewitsch nirgends eine passende Gelegenheit finden konnte. Ein andermal hatte er die Nase bereits fallen lassen, aber ein Wachmann zeigte sie ihm schon von ferne mit seiner Hellebarde und sagte: »Heb es auf, da hast du etwas fallen lassen!« und Iwan Jakowlewitsch blieb nichts anderes übrig, als die Nase wieder aufzuheben und sie in seine Tasche zu stecken. Verzweiflung begann sich seiner zu bemächtigen und das um so mehr, als es auf der Straße immer belebter wurde und man die Kaufläden und Magazine zu öffnen begann.

Da beschloß er, nach der Isaaksbrücke zu gehen: vielleicht glückte es ihm, sie dort in die Newa zu werfen ...

 

(Auf der Brücke schaute er sich zunächst um), dann lehnte er sich ans Geländer, als wollte er nur hinuntersehen, um zu sehen, ob viele Fische vorüberschwämmen, und warf ganz heimlich das Läppchen mit der Nase hinab. Es war ihm zumute, als sei ihm mit einemmal eine Zentnerlast vom Herzen genommen, ja (er) lachte sogar fröhlich auf() – als er plötzlich am andern Ende der Brücke einen Polizei-Inspektor () gewahrte. Er war einer Ohnmacht nahe; der Polizei-Inspektor aber winkte ihm mit der Hand und sprach: »Komm doch mal her, mein Lieber.«

Iwan Jakowlewitsch wußte, was sich gehört, nahm schon von weitem seine Mütze ab, ging auf den Polizei-Inspektor zu und sagte: »Ich wünsche Euer Hochwohlgeboren das beste Wohlbefinden.«

»Ach was Hochwohlgeboren, sage mir, Freundchen, was hast du da gemacht, als du auf der Brücke standest?«

() Iwan Jakowlewitsch erbleichte ... Aber hier verschwindet die Begebenheit völlig im Nebel, und was weiter geschah, ist nicht bekannt geworden.

 

Der Geist der Freiheit, der innerhalb der der europäischen Zivilisation für eine bestimmte Aufassung von der Bestimmung des Menschen steht, erschöpft sich nicht in den politischen Freiheiten. In ihr drückt sich vielmehr ein Gefühl der Absolutheit menschlicher Freiheit gegenüber der Welt und den Handlungsmöglichkeiten in ihr aus. Ausgesetzt ins Universum ist der Mensch ewig dazu bestimmt mit sich neu anzufangen. Er hat streng genommen keine Geschichte. Die Geschichte nämlich bedeutet die Begrenztheit schlechthin. Die Zeit, als Bedingung der menachlichen Existenz, ist vor allem die Bedingung des Irreparablen. Die vollendete Tatsache, die mit der flüchtigen Gegenwart fortgerissen wird, bleibt für immer dem Zugriff des Menschen entzogen, lastet aber auf seinem Schicksal. Hinter der Melancholie des ewigen Flusses der Dinge, Heraklits trügerischer Gegenwart, liegt die Tragödie einer unauslöschlichen Vergangenheit in ihrer Unabsetzbarkeit, die jede Initiative dazu verurteilt, immer nur Anknüpfung zu sein.

 

Aus dem Judentum kommt die wunderbare Botschaft in die Welt, dass sich der Gewissensbiß – dem schmerzhaften Ausdruck für die radikale Ohnmacht, das Irreparable wieder in Ordnung zu bringen – die Reue ankündigt, welche zur Vergebung führt, die etwas wieder gutmacht. Der Mensch findet also in der Gegenwart etwas vor, womit er die Vergangenheit verändern, sogar auslöschen kann. Die Zeit verliert ihre Unumkehrbarkeit. Wie ein verletztes Tier bricht sie kraftlos zu Füßen des Menschen zusammen. Und befreit ihn.

 

Der Major Kowalow wachte ziemlich früh auf, machte »brr brr!« – was er übrigens immer tat, sobald er aufwachte, wenn er sich auch die Ursache nicht zu erklären vermochte. Kowalow reckte sich und ließ sich einen kleinen auf dem Tische stehenden Spiegel geben. Er wollte nach dem Hitzbläschen sehen, das ihm gestern abend auf der Nase entstanden war. Aber zu seinem größten Erstaunen bemerkte er, daß er statt der Nase nur eine vollständig glatte Stelle im Gesicht hatte! Im höchsten Grad erschreckt ließ sich Kowalow Wasser reichen und rieb sich mit einem Handtuch die Augen: Wirklich, er hatte keine Nase mehr! Er begann sich mit den Händen zu befühlen, er kniff sich, um sich zu überzeugen, ob er nicht schliefe. Nein, allem Anschein nach schlief er nicht mehr!

Da sprang der Major Kowalow aus dem Bett und schüttelte sich – Nein, keine Nase mehr! ... Er ließ sich sofort die Kleider geben und eilte dann geradeswegs (zum) Oberpolizeimeister. () Zum Unglück war auf der Straße nicht ein einziger Kutscher zu sehen, und so mußte er zu Fuß gehen, wobei er sich in seinen Mantel hüllte, und das Taschentuch vor das Gesicht hielt, sich stellend, als blute ihm die Nase. Aber vielleicht ist's mir nur so vorgekommen, dachte er und trat in eine Konditorei, um in einem Spiegel nachzusehen. Glücklicherweise war augenblicklich niemand in der Konditorei; Burschen reinigten das Zimmer und stellten Stühle und Tische zurecht. () »Nun Gott sei Dank, es ist niemand hier«, sagte er, »da kann ich nachsehen.« Und scheu trat er an einen Spiegel und blickte hinein. »Mag der Teufel wissen, was das für eine scheußliche Sache ist«, rief er und spuckte aus; »wenn da wenigstens statt der Nase sonst etwas da wäre, aber nichts, gar nichts!«

 

Ärgerlich biß er sich in die Lippe, verließ die Konditorei und beschloß, niemanden, ganz wider seine Gewohnheit, auf der Straße anzusehen oder anzulächeln. Da plötzlich stand er wie angewurzelt vor einer Haustür; dort ging etwas ganz Ungewöhnliches vor. An der Einfahrt hielt ein Wagen, der Schlag wurde geöffnet, und heraus trat in gebückter Haltung ein Herr in Uniform und eilte die Treppe hinan. Wie groß war Kowalows Schrecken und Erstaunen, als er bemerkte, daß dieser Herr – seine eigene Nase war. Bei dieser außerordentlichen Erscheinung war es ihm, als ob alles um ihn herum sich drehte;() allein er beschloß – am ganzen Leibe bebend, als hätte er das Fieber – unter allen Umständen zu warten, bis die Nase in den Wagen zurückkehren würde. Nach Verlauf von zwei Minuten kam die Nase wirklich wieder heraus. Sie war in goldgestickter Uniform mit großem Stehkragen, () trug sämischlederne Beinkleider und an der Seite hing ein Degen (). An allem war zu erkennen, daß sie Besuche machte. Sie sah sich nach beiden Seiten um, rief dem Kutscher zu: »Weiter!« setzte sich in den Wagen und fuhr davon.

 

Das quälende Gefühl der schlichten Ohnmacht des Menschen angesichts der Zeit macht die ganze Tragik der griechischen Moira aus, die ganze Unberbittlichkeit des Gedankens der Sünde sowie die ganze Größe des Christentums in seiner Revolte. Den Atriden, die sich im Würgegriff der Vergangenheit winden, die befremdlich und brutal ist wie ein Fluch, stellt das Christentum ein mystisches Drama entgegen. Das Kreuz macht frei; und durch die Eucharistie, die über die Zeit triumphiert, geschieht die Befreiung jeden Tag neu.

 

Diese unendliche Freiheit jeder Bindung gegenüber, durch die letztlich auch keine Bindung endgültig ist, liegt dem christlichen Begriff der Seele zugrunde. Auch wenn die Freiheit die zuhöchst konkrete Realität bleibt und in ihr der letzte Grund des Inidviduums zum Ausdruck kommt, so zeichnet sie sich doch zugleich durch die nüchterne Reinheit einer transzendenten Inspiration aus. Durch die Schicksalsschläge der realen Weltgeschichte hindurch wird die Fähigkeit zum Neuanfang für die Seele wie zu einer noumenalen Natur, die geschützt ist gegen die Unbilden einer Welt, in der der Mensch trotz allem zuhause ist. Dies ist aber nur scheinbar ein Paradox.

Das Sich-Ablösen der Seele ist kein abstrakter Vorgang, sondern ein konkretes und positives Vermögen des Sich-Lösens und Sich-Trennens. Die Würde, die allen Seelen in gleichem Maße zukommt, unabhängig von der materiellen und sozialen Situation der jeweiligen Personen, leitet sich nicht her aus einer Theorie, die hinter den individuellen Unterschieden eine Analogie der „psychologischen Konstitution“ in Anschlag bringen würde. Sie ist vielmehr dem Vermögen geschuldet, mit dem die Seele ausgestattet ist, um sich von dem zu befreien, was gewesen ist, von allem, was sie gefesselt und in Anspruch genommen hat – damit sie ihre ursprüngliche Reinheit wiederfinden kann.

 

Auch wenn der Liberalismus der vergangenen Jahrhunderte den dramatischen Aspekt dieser Befreiung gerne ausblendet, so ist er doch selbst wesentlich davon betroffen, insofern er sich nämlich als souveräne Freiheit der Vernunft begreift. – In einer vom Liberalismus geprägten Welt läßt sich der Mensch in der Wahl seiner Bestimmung nicht durch die Last der Geschichte leiten. Er betrachtet seine Möglichkeiten nicht als unruhige Kräfte, die in ihm brodeln und ihn von vornherein in eine bestimmte Richtung lenken. Für ihn sind sie nichts weiter als logische Möglichkeiten, die sich einer Vernunft in ihrer heiteren Gelassenheit darbieten, welche ihre Wahl trifft und dabei stets Distanz wahrt.

Der arme Kowalow hätte beinahe den Verstand verloren. Er wußte nicht, was er von dieser seltsamen Begebenheit denken sollte. () Wie war es möglich, daß die Nase, welche er noch gestern im Gesicht gehabt und die weder gehen noch fahren konnte, in Uniform steckte! Er lief dem Wagen nach, der glücklicherweise in geringer Entfernung vor der Kasankathedrale wieder haltmachte.

(Die Nase verließ den Wagen und eilte die Stufen hinauf. Kowalow folgte;) ()er war in so aufgeregtem Zustande, daß er sich zu nichts entschließen konnte, und überall suchten seine Augen nach diesem Herrn. Endlich sah er ihn abseits stehen. Die Nase hatte ihr Gesicht vollständig in ihren großen Stehkragen gesteckt und betete mit größter Andacht. Wie könnte ich wohl zu ihr gelangen, dachte Kowalow. Alles – die Uniform, der Hut – kurz, alles beweist, daß sie ein Staatsrat ist. Der Teufel mag wissen, wie das zu machen ist.

Er begann um die Nase herumzuhüsteln, aber sie veränderte nicht für eine Minute ihre Stellung.

»Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow, sich Mut machend, »hochgeehrter Herr – –«

»Was wünschen Sie?« antwortete die Nase und wandte sich um.

»Es kommt mir seltsam vor, sehr geehrter Herr ... mir scheint ... Sie sollten doch ihren Standort kennen ... und da finde ich Sie auf einmal ... und wo? ... urteilen Sie selbst ...«

»Verzeihen Sie, ich begreife gar nicht, wovon Sie reden ... Erklären Sie sich deutlicher.«

Wie soll ich mich () denn noch deutlicher erklären? dachte Kowalow, und neuen Mut fassend, fuhr er fort: »Natürlich ... Übrigens bin ich Major. Ohne Nase herumgehen, das werden Sie zugeben, ist unschicklich. () ... ich weiß nicht, geehrter Herr, was Sie ... (hier zuckte der Major die Achseln) ... Verzeihen Sie ... verträgt sich das mit den Regeln von Pflicht und Ehre – – Sie werden selbst begreifen – –«

»Ich begreife gar nichts«, antwortete die Nase. »Erklären Sie sich deutlicher.«

»Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow im Gefühl seiner eigenen Pflicht, »ich weiß nicht, wie ich Ihre Worte verstehen soll ... Mir scheint doch, die ganze Sache ist hier so augenfällig wie möglich ... Oder wollen Sie ... Aber – Sie sind ja doch – meine eigene Nase!«

Die Nase sah den Major an und runzelte die Stirn.

»Da irren Sie, geehrter Herr; ich bin ich selbst. ()« Und mit diesen Worten wandte die Nase sich ab.

Kowalow verlor vollständig den Kopf; er wußte nicht, was er tun, und noch weniger, was er denken sollte (und ließ verwirrt den Kopf sinken). (Als er ihn wieder hob), um dem Herrn in der Uniform gerade ins Gesicht zu sagen, daß er nur Staatsrat spiele – daß er ein Schelm und Halunke und weiter nichts sei als seine eigene Nase ... (war) die Nase nicht mehr da ().

Das brachte Kowalow zur Verzweiflung. Er ging hinaus, blieb einen Augenblick unter der Kolonnade stehen und blickte sich nach allen Seiten um, ob nicht irgendwo die Nase zu sehen sei. Er erinnerte sich sehr wohl, daß sie auf dem Kopfe einen Hut mit Federbusch und eine goldgestickte Uniform anhatte; aber den Mantel hatte er nicht beachtet, und auch die Farbe des Wagens und der Pferde war ihm nicht mehr im Gedächtnis ().

»Ach, hol's der Teufel!« sagte Kowalow, »heda, Kutscher, fahre mich direkt zum Polizeimeister!«

Kowalow setzte sich in eine Droschke und schrie dem Kutscher zu: »Fahr los, wie der Blitz!« ()

 

Was bedeutet es nach traditionellem Verständnis, einen Leib zu haben? Es heißt nichts anderes, als ihn wie einen Gegenstand der Außenwelt ertragen. Der Leib ist für Sokrates eine Last, wie die Ketten, die den Philosophen im Gefängnis von Athen drücken; er sperrt ihn ein, genau wie das Grab, das ihn erwartet. Der Leib ist das Hindernis schlechthin. Er hemmt den freien Flug des Geistes, zwingt ihn in seine irdsichen Bedingungen zurück und ist gleichwohl etwas, das überwunden werden muss, wie ein Hindernis eben.

Dieses Gefühl unüberwindbarer Fremdheit zwischen uns und unserem Leib hat das Christentum und den modernen Liberalismus gleichermaßen geprägt. () Wenn die Materialisten das Ich vollständig mit dem Leib zu veschmelzen suchten, so geschah dies doch nur um den Preis einer schlichten und einfachen Negation des Geistes.

 

Der Major Kowalow kam nach (langer und vergeblicher Suche endlich nach) Hause, kaum noch seine Beine fühlend. Es dämmerte schon. Seine Wohnung erschien ihm traurig und widerwärtig nach all diesen unglücklichen Bemühungen. () In seinem Zimmer angelangt, warf sich der Major müde und kummervoll auf einen Stuhl, seufzte einige Male tief auf und sagte schließlich: »Mein Gott, mein Gott! Ist das ein Unglück! Hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren, das alles wäre noch nicht so schlimm; aber ein Mensch ohne Nase – ()... Aber nein, es ist ja unmöglich!« fuhr er nach einigem Sinnen fort; »ganz undenkbar, daß ich die Nase verloren haben könnte; ganz und gar unwahrscheinlich. Das hat mir geträumt oder ich phantasiere nur; vielleicht habe ich aus Versehen statt des Wassers den Branntwein ausgetrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren das Kinn abwasche. ()« Und um sich zu überzeugen, ob er wirklich nicht betrunken sei, kniff sich der Major so empfindlich, daß er selbst aufschrie. Dieser Schmerz überzeugte ihn vollständig, daß er in der Tat ganz wach und nüchtern sei. Langsam näherte er sich dem Spiegel und schloß zuerst die Augen, in der Hoffnung, daß vielleicht seine Nase sich wieder an der alten Stelle befände; aber in demselben Augenblick sprang er zurück und rief aus: »Was für ein niederträchtiger Anblick!«

 

Doch der Leib ist keineswegs nur das ewig Fremde. Es gibt ein Gefühl der Identität zwischen Leib und uns selbst, das unter gewissen Umständen in gesteigerter Weise zur Geltung kommt. () Der Leib ist uns nicht nur näher und vertrauter als der Rest der Welt, und er bestimmt auch nicht nur unser psychologisches Leben, unsere Stimmungen und Handlungen. Jenseits all dieser alltäglichen Beobachtungen gibt es auch das Gefühl der Identität. Werden wir uns nicht bereits in dieser einzigartigen Wärme unseres Körpers offenbar, lange bevor das Ich, das sich von ihm zu unterscheiden versucht, hervorbricht? Halten nicht jene Bande, die, lange noch vor dem Erwachen des Geistes, aus dem Blut hervorgehen, hier nicht jeder Prüfung stand? Bei einem gefährlichen sportlichen Unternehmen oder bei einer riskanten Übung, in denen – angesichts der tödlichen Gefahr – selbst noch die kleinsten Bewegungen eine fast abstrakte Perfektion erreichen, muß jeder Dualismus zwischen dem Leib und dem Ich verschwinden. Und empfindet nicht auch der Kranke in der Ausweglosigkeit des physischen Schmerzes die unteilbare Einheit seines Seins ()?

 

Wird man also sagen können, daß die Analyse des Schmerzes einen Gegensatz zwischen dem Geist und diesem Schmerz zum Vorschein bringt, eine Revolte oder Verweigerung, in ihm zu verbleiben, und folglich den Versuch, ihn zu überwinden? Aber ist dieser Versuch nicht von vornherein als hoffnungslos zu bezeichnen? Bleibt der rebellierende Geist nicht unweigerlich in dem Schmerz gefangen? Und ist es nicht gerade diese Ausweglosigkeit, die den eigentlichen Grund des Schmerzes ausmacht?

 

Es war wirklich unbegreiflich; wenn er irgend etwas anderes, einen Knopf, die Uhr, einen silbernen Löffel verloren hätte! Aber ein solcher Verlust! Und noch in der eigenen Wohnung! ... () Er wurde in seinen Gedanken durch das Licht gestört, das durch alle Spalten der Tür hindurchdrang und erkennen ließ, daß sein Diener Iwan bereits im Vorzimmer die Kerze angezündet hatte. Bald darauf trat Iwan selbst herein, das Licht vor sich tragend und die ganze Stube erleuchtend. Das erste, was Kowalow tat, war, nach dem Taschentuch zu greifen und die Stelle zu verhüllen, wo sich gestern noch die Nase befunden, damit dieser Dummkopf von Diener den Mund nicht so aufsperre, wenn er seinen Herrn in einer so seltsamen Verfassung erblickte.

Iwan war noch nicht wieder in seine Kammer gegangen, als aus dem Vorzimmer eine unbekannte Stimme sich vernehmen ließ, welche rief: »Wohnt hier der (Major) Kowalow?«

»Bitte treten Sie ein, ja, hier wohnt er«, rief Kowalow schnell aufspringend und die Tür öffnend.

Es war ein Polizeibeamter von hübschem Äußeren mit einem nicht zu hellen und nicht zu dunklen Backenbart und ziemlich vollen Wangen, derselbe, welcher zu Beginn unserer Erzählung auf der Isaaksbrücke stand.

»Haben Sie vielleicht beliebt Ihre Nase zu verlieren?«

»Ganz recht.«

»Sie ist jetzt aufgefunden worden.«

»Was sagen Sie?« rief der Major Kowalow. Die Freude lähmte ihm die Zunge. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den vor ihm stehenden Polizeimann an, auf dessen vollem Gesicht und Lippen hell das flackernde Kerzenlicht zitterte.

»Auf welche Weise?«

»Auf höchst seltsame Weise: sozusagen auf der Landstraße. Sie saß bereits im Postwagen und wollte nach Riga fahren. Der Paß war schon vor längerer Zeit auf den Namen eines Beamten ausgestellt worden. Und ist es nicht merkwürdig, daß ich selbst anfangs sie für einen Herrn hielt? Aber glücklicherweise hatte ich meine Brille bei mir, und da sah ich denn sofort, daß es eine Nase war. ().«

Kowalow war außer sich. »Wo ist sie, wo? Ich eile sofort hin –«

»Sorgen Sie sich nicht. Ich wußte, daß Sie sie brauchen und habe sie gleich mitgebracht. Und merkwürdigerweise ist der Hauptverbrecher bei dieser Sache ein Halunke von Barbier da auf der Himmelfahrtsstraße – jetzt sitzt er bereits auf der Wache. () Ihre Nase ist noch ganz so, wie sie war.« Und damit griff der Polizeibeamte in die Tasche und zog die in Papier gewickelte Nase heraus.

»Ja, ja, das ist sie!« rief Kowalow; »richtig, das ist sie! ()

 

Der Leib ist nicht nur ein unglücklicher oder ein glücklicher Zufall, der uns mit der unerbittlichen Welt der Materie in Beziehung setzt – seine Zugehörigkeit zum Ich ist ein Wert an sich selbst. Es ist eine Verbindung, der niemand entkommt. ()

 

Die Bedeutung, die diesem Gefühl (der Identität zwischen dem Ich und dem Leib) für den (letzteren) zuerkannt wird, bildet die Grundlage für einen neuen Begriff vom Menschen. Das Bologische und alles, was an Unvermeidlichem damit zusammenhängt, wird dadurch zu mehr als nur einem Objekt des geistigen Lebens; es wir dessen egentliches Herzstück. Die myteriösen Stimmen des Blutes, der Ruf, der an das Erbe und die Vergangenheit gemahnt und für die der Leib als rätselhaftes Sprachrohr dient, treten nun nicht mehr in Gestalt von Rätseln auf, deren Lösung von einem uneingeschränkt freien Ich abhängig ist. Denn auch das Ich kann bei der Lösung dieser Rätsel nur wieder die Unbekannten ins Felde führen, aus denen es selbst zusammengesetzt ist. Das Wesen des Menschen liegt nicht mehr in der Freiheit, sondern in einer Art des Gefesseltseins. Wirklich selbst zu sein heißt nicht, sich noch einmal über die Kontingenz der Ereignisse, die auf immer mit der Freiheit des Ich unvereinbar sein werden, zu erheben; es bedeutet im Gegenteil, sich das ursprüngliche, unabweisbare und stets einzigartige Gefesseltsein an unseren Leib bewußt zu machen und es vo allem auch zu akzeptieren.

 

Als der Polizeibeamte fort war, verharrte der (Major) einige Minuten in einem unbestimmten Geisteszustand; erst nach einigen Minuten war es ihm möglich, wieder zu sehen und zu fühlen – so hatte ihn die unerwartete Freude überwältigt. Vorsichtig nahm er die wiedergefundene Nase in beide Hände, die er ballte, und betrachtete sie noch einmal ganz aufmerksam.

»In der Tat, sie ist's!« sagte der Major Kowalow zu sich. »Da ist auch das Hitzbläschen an der linken Seite, das sich vorgestern gebildet hat.« ()

Kowalow begann nachzudenken und besann sich, daß die Sache ja noch nicht vollständig erledigt war: die Nase war zwar gefunden, aber nun mußte sie wieder an ihren Platz befestigt werden.

»Wenn sie nun nicht festwüchse?«

Bei dieser Frage, die er sich selbst stellte, erbleichte der Major.

Mit einem Gefühl unerklärlichen Schreckens sprang er zum Tisch und rückte den Spiegel näher, damit er die Nase nicht schief aufsetze. Die Hände bebten ihm. Vorsichtig und behutsam hielt er sie an der alten Stelle ... o Schrecken! Die Nase hielt nicht! ... Er hielt sie vor den Mund, wärmte sie durch seinen Atem ein wenig an und hielt sie wieder an die glatte Stelle zwischen den beiden Wangen, aber die Nase wollte durchaus nicht festhalten.

»Na, na, na! So klettere doch hinauf, du dummes Ding!« sagte er zu ihr. Aber die Nase war wie von Holz und fiel mit einem eigentümlichen Ton so wie ein Pfropfen auf den Tisch. Das Gesicht des Majors begann krampfhaft zu zucken. »Wäre es wirklich möglich, daß sie nicht wieder anwachsen wollte?« sagte er entsetzt zu sich. Aber so oft er sie auch andrückte – alle Bemühungen waren fruchtlos.

 

Er rief Iwan und schickte ihn zu dem Arzt, der in demselben Hause die schönste Wohnung im ersten Stock inne hatte. () Der Doktor kam unverzüglich. Nachdem er gefragt, wann ihm das Unglück passiert sei, faßte er den Major ans Kinn, hob seinen Kopf und gab ihm mit dem Zeigefinger ein Schnippchen auf dieselbe Stelle, wo früher die Nase gesessen, so daß der Major seinen Kopf mit solcher Heftigkeit zurückzog, daß er mit dem Hinterkopf an die Wand schlug. (Der Arzt) sagte: („Hm“, und dann:) »Nein, es ist unmöglich; es ist besser, Sie bleiben so wie Sie sind, denn es könnte noch viel schlimmer werden. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen;! () aber ich versichere Sie bei meiner Ehre – wenn Sie schon meinen Worten nicht glauben wollen – es würde noch weit schlimmer werden. Waschen Sie die Stelle öfters mit kaltem Wasser, und ich versichere Sie, Sie werden auch ohne Nase so gesund sein, als hätten Sie eine Nase. ()“ Und mit diesen Worten verließ der Doktor in würdevoller Haltung das Zimmer. Kowalow bemerkte nicht einmal sein Gesicht und sah in seiner tiefen Betäubung nur noch die aus den Ärmeln des schwarzen Fracks hervorstehenden schneeweißen Manschetten.

 

Das, was die Struktur des Denkens und der Wahrheit in der westlichen Welt charakterisiert, ist – wir haben es bereits hervorgehoben – die Distanz, die von Anfang an den Menschen und die Welt der Ideen, aus der er sich sein Wahrheit wählt, voneinander trennt. Frei und allein steht er dieser Welt gegenüber. Er ist sogar in dem Maße frei, daß er es sich erlauben kann, diese Distanz garnicht zu überwinden und überhaupt eine Wahl zu treffen. Der Skeptizismus stellt für das westliche Denken eine grundsätzliche Möglichkeit dar. Selbst dann, wenn die Distanz überwunden und die Wahrheit ergriffen wird, bewahrt der Mensch noch seine Freiheit. Er kann sich neu ausrichten und noch einmal auf seine Wahl zurückkommen. Aber in der erneuten Bekräftigung schlummert schon die Möglichkeit ihrer künftigen Negation. Und dies ist gerade die Freiheit, die die eigentliche Würde des Denkens ausmacht, aber in ihr liegt eben auch die Gefahr. Denn in den Zwischenraum, der Mensch und Idee voneinander trennt, schleichen sich Lüge und Täuschung ein.

 

Das Denken wird zu einem Spiel. Der Mensch findet Gefallen an seiner Freiheit und will sich auf keine Wahrheit mehr endgültig festlegen. Seine Fähigkeit zu zweifeln verwandelt sich in einen Mangel an Überzeugung. Sich nicht an eine Wahrheit zu binden bedeutet nun für ihn, sich als Person nicht mehr für die Schaffung geistiger Werte einsetzen zu wollen. Aufrichtigkeit ist zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden und macht Schluß mit jeder Art von Heldenhaftigkeit. Die Zvilisation wird überschwemmt mit allem, was nicht authentisch ist, mit Ersatzstoffen, die im Dienst der verschiedenen Interessen und Moden stehen.

 

Vollkommen abgeschmacktes Zeug geschieht doch auf der Welt. Manchmal gibt's Dinge, die ganz und gar nicht wahrscheinlich sind: plötzlich zeigte sich dieselbe Nase, die im Range eines Staatsrats umhergefahren war und so viel Lärm erregt hatte, just als wäre nichts geschehen, wieder an ihrem Platze, das heißt zwischen den beiden Wangen des Majors Kowalow. Dieses Ereignis trug sich schon am siebenten April zu. Als der Major am Morgen erwachte und plötzlich in den Spiegel blickte, sah er – die Nase! Er betastete sie mit der Hand – richtig die Nase! »Hähä!« sagte Kowalow und hätte vor Freude beinahe in seinem Zimmer barfuß () getanzt, nur das Erscheinen seines Dieners verhinderte ihn daran. Er befahl diesem, ihm sofort Waschwasser zu geben, und nachdem er sich gewaschen, blickte er noch einmal in den Spiegel – die Nase! Dann rieb er sich mit dem Handtuch ab und schaute nochmals in den Spiegel – die Nase!

 

»Sieh mal her, Iwan, ich glaube, da ist mir ein Hitzbläschen auf die Nase geflogen«, sprach er und dachte bei sich: Ach, wenn nun aber Iwan sagt: ›Aber gnädiger Herr, Sie haben nicht nur kein Hitzbläschen, sondern nicht einmal eine Nase?‹

Aber Iwan sagte: »Es ist nichts – gar keine Spur von einem Hitzbläschen, die Nase ist ganz rein.«

»Schön, beim Teufel!« sagte der Major und schnalzte mit den Fingern. In diesem Augenblick schaute der Barbier Iwan Jakowlewitsch zur Tür herein, aber so ängstlich wie eine Katze, die gerade Prügel bekommen, weil sie Speck gestohlen hat.

 

() Kowalow setzte sich. Iwan Jakowlewitsch hüllte ihn mit seinem Tuch ein, und im Umsehen hatte er mit Hilfe seines Pinsels das ganze Kinn des Majors und einen Teil der Wangen in Creme verwandelt (). »Sieh mal an!« sagte Iwan Jakowlewitsch für sich und betrachtete aufmerksam die Nase, und dann hielt er den Kopf nach der Seite, am sie auch von einem andern Standpunkt zu betrachten. »Sieh da, da ist sie ()«, fuhr er fort und blickte sie lange an. Endlich erhob er langsam, aber mit denkbar größter Vorsicht zwei Finger, um sie ganz an der Spitze zu erfassen. ()

»Na, na, na, sieh dich vor!« schrie ihn Kowalow an.

Iwan Jakowlewitsch ließ die Hände sinken und wurde so bestürzt und verwirrt, wie noch nie in seinem Leben. Endlich begann er ganz vorsichtig unter dem Kinn zu rasieren, und obgleich es ihm höchst unbequem und schwer wurde zu rasieren, ohne daß er dabei an dem Riechorgan des Körpers eine Stütze hatte, so gelang es ihm doch schließlich, indem er den einen Finger auf die Wange und den Unterkiefer drückte, sich seiner Aufgabe vollständig zu entledigen und den Major zu rasieren.

 

 

Einer Gesellschaft, die den lebendigen Kontakt zu ihrem wahren Ideal der Freiheit verliert und nur noch dieren Verfallsformen akzeptiert, die, anstatt zu erkennen, daß dieses Ideal Anstrengungen erfordert, sich vor allem daran erfreut, was ihr Bequemlichkeit verschafft – einer solchen Art von Gesellschaft muß das germanische Ideal des Menschen wie ein Versprechen der Aufrichtigkeit und Authentizität erscheinen. Der Mensch findet sich nicht mehr einer Welt von Ideen gegenüber, aus der er durch die souveräne Entscheidung seiner freien Vernunft sich seine eigene Wahrheit finden kann – er ist von jetzt an unweigerlich an einige dieser Ideen gebunden, so wie er durch seine Geburt mit all denen verbunden ist, die vom selben Blut abstammen. Er kann mit der Idee nicht mehr nur spielen, geht es in ihr, die aus seinem konkreten Sein hervorgegangen ist und also in seinem Fleisch und Blut verwurzelt ist, doch um eine ernste Sache.

 

 

Gefesselt an seinen Leib erkennt der Mensch, daß er keine Macht hat, sich selbst zu entkommen. De Wahrheit liegt für ihn nicht mehr in der Betrachtung eines ihm äußerlichen Schauspiels – sie gleicht vielmehr einem Drama, in dem der Mensch selbst die handelnde Figur ist. Es ist immer die Last der ganzen Existenz – die auf Gegebenheiten beruht, auf die man nicht mehr zurückkommen kann - unter der der Mensch sein Ja und Nein zu sagen hat.

 

 

Als der Barbier fertig war, kleidete sich Kowalow schnell an, setzte sich in eine Droschke und fuhr geradeswegs nach einer Konditorei. Schon von weitem rief er: »Kellner, eine Tasse Schokolade!« und stand auch schon in demselben Augenblick vor dem Spiegel – er hat eine Nase!

(Beim Hinausgehen) begegnete er der Frau des Stabsoffiziers und deren Tochter. Er machte ihnen eine Verbeugung und wurde mit freudigen Ausrufen empfangen: war also in keiner Weise zu Schaden gekommen ... Lange unterhielt er sich mit den Damen, und absichtlich zog er seine Tabaksdose hervor und versah wiederholt beide Öffnungen seiner Nase mit Schnupftabak. () Und von jetzt an promenierte der Major Kowalow, als wäre gar nichts geschehen, auf dem Newski-Prospekt umher und zeigte sich im Theater, auf Bällen, Soireen – kurz überall. Und auch die Nase saß und zeigte keinerlei Zeichen, daß sie nach dieser oder jener Seite gewichen wäre, als wäre ihr nichts passiert. ()

 

Schau, was für eine Geschichte sich in der nordischen Hauptstadt unseres weiten Reiches ereignet hat! Wenn man jetzt den ganzen Vorfall noch einmal recht bedenkt, so sieht man, daß vieles daran unwahrscheinlich ist. Ich will gar nicht davon sprechen, daß es wirklich wunderlich ist, daß eine Nase sich gegen alle Natürlichkeit entfernt und sich an verschiedenen Orten in Gestalt eines Staatsrates zeigt – aber () wie kam die Nase in das Brot und wie konnte Iwan Jakowlewitsch ... nein, das begreife ich nicht! Aber das Seltsamste, Unbegreiflichste an der Sache ist, wie es nur Schriftsteller geben kann, die sich solche Gegenstände wählen. Ich muß gestehen, das ist mir das Allerunbegreiflichste ... in der Tat, das geht vollständig über mein Begriffsvermögen! ()

Aber dennoch, trotz alledem, obwohl man schließlich dies und jenes und noch ein drittes zugeben kann und vielleicht sogar ... wo gibt es denn übrigens keine unsinnigen Dinge? – Wie man die Geschichte auch drehen und wenden mag, irgend etwas ist doch daran. Man rede, was man will, solche Dinge gibt es in der Welt – zwar nur selten, aber sie kommen vor.

 

bottom of page